REWI: Mit 1. September traten Sie an der REWI der Uni Graz die österreichweit erste Professur für Alternative Dispute Resolution (ADR) an. Wie geht es Ihnen als Pionier?
Sascha Ferz: Es ist die Frage, in welchen Kontext der Begriff Pionier gesetzt werden soll. Wenn damit die Erkundung und Aufbereitung von unberührten Flächen gemeint ist, dann würde ich sagen, gibt es im Bereich ADR viele, die neue Wege beschreiten. Die Szene ist ungemein aktiv, innovativ, dynamisch. Wohl aber würde ich mich gerne zum einen am Wissenschaftsmarkt wegbereitend als Promotor und Enabler für neue oder auch neu zusammengestellte Verfahren zur Streitbeilegung und zum anderen in der Lehre und Weiterbildung als Impulsgeber für die Konfliktarbeit hinterfragende Studierende und Professionist*innen wiederfinden. So verstanden, geht es mir in der Rolle des Pioniers ganz ausgezeichnet.
REWI: Was umfasst „Alternative Dispute Resolution“ eigentlich alles?
Sascha Ferz: In der Tat erscheint dieser Sammelbegriff recht unscharf zu sein. Dieser Eindruck wird bei der Durchsicht von einschlägigen Gesetzesmaterialien sogar noch bestätigt. So verfolgt der europäische Gesetzgeber mit der Umsetzung der ADR-RL das Ziel, die „Außergerichtliche“ Streitbeilegung als einfache, effiziente, schnelle und kostengünstige Möglichkeit zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten zu etablieren. Zum anderen soll mit dieser RL ein breites Verständnis der „Alternativen“ Konfliktbeilegung vermittelt werden, indem die Mitgliedstaaten aufgefordert sind, eine flächendeckende Verbreiterung von kooperationsfördernden, mediativen Alternativen Streitbeilegungsstellen zu schaffen. Der österreichische Gesetzgeber hat darauf mit dem Alternative-Streitbeilegungs-Gesetz (AStG) geantwortet, das allein die Einrichtung von klassischen Schlichtungsstellen vorsieht.
Grob gesprochen, handelt es sich dabei um unterschiedliche Verfahren zur Streitbearbeitung mit teils gänzlich verschiedenen Zielsetzungen und Techniken. Gemeint sind vor allem die Verhandlung, Mediation, Schlichtung und die private Gerichtsbarkeit, wodurch ein großer Teil der in der Gesellschaft auftretenden Konflikte mit oder ohne Hilfe von Dritten bearbeitet, bereinigt oder beendet werden. Wenn man so will, steht an dem einen Ende der Aushandlungsprozess zwischen den Konfliktpartner*innen und am anderen die finale, bindende Entscheidung durch die Schiedsrichterin bzw. den Schiedsrichter.
REWI: Wie haben Sie die Themen der alternativen Streitbeilegung für sich entdeckt?
Sascha Ferz: Das reicht schon ein paar Jahre zurück, als mich ein Institutskollege und lieber Freund angestupst hat, indem er mit mir ein Karrieregespräch geführt hat. Der Tenor war, suche dir dein persönliches Thema. Das wurde die Mediation. Uneingeschränkt unterstützt wurde ich übrigens von meinem akademischen Lehrer Univ.-Prof. Johannes Pichler. Die Ausbildung zum Mediator und vor allem die Genehmigung des FWF-Projekts „Mediation im öffentlichen Bereich“ wurden zu persönlichen „Game Changern“.
REWI: Wo sind die umfangreichsten Einsatzgebiete der alternativen Streitbeilegung? Wo ist sie neuerdings stark im Kommen?
Sascha Ferz: Einen wahren Boom erleben derzeit einige der Schlichtungsstellen in Verbraucherstreitigkeiten (z.B. Verbraucherschlichtungsstelle, Internetombudsmann, Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte). Kontinuierlich stark nachgefragt ist das Instrument der Mediation in Familienstreitigkeiten. Als Dauerbrenner kann freilich die Tätigkeit der Schiedsgerichte bei grenzüberschreitenden Wirtschaftskonflikten bezeichnet werden.
REWI: Welche Fragestellungen aus Ihrem Forschungsbereich fesseln Sie gerade besonders?
Sascha Ferz: Dazu zählt sicherlich der Versuch einer Einordnung der Funktion der Vollstreckbarkeit von Mediationsabsprachen in die Anerkennungsdiskussion von außergerichtlichen Streitbeilegungsmethoden.
Spannend ist zudem die Frage nach der möglichen Veränderung von Faktoren, die die Mediationskompetenz ausmachen, in den letzten zehn Jahren. Erfolgen soll dies im Rahmen einer Wiederholungsmessung anhand von einer Auswahl an Schlüsselkompetenzen.
Eine rasante Entwicklungsphase durchläuft gerade die ADR-Welt im Zusammenhang mit dem Digitalisierungsboost. Interessant ist dabei z.B. das mitunter lautstark ventilierte Wettbewerbselement, das auch nicht vor der Justiz haltmacht. So wird von Kommentator*innen gefordert, die Gerichte digitalisierungsfit zu machen, um nicht den Anschluss an die privaten Anbieter und dadurch den justiziellen Einfluss zur Gegensteuerung bei rechtlichen Fehlentwicklungen nicht an Programmierer*innen und die Plattform-Betreiber*innen zu verlieren.
REWI: Was ist für Sie das Spannendste an der Tätigkeit als Professor?
Sascha Ferz: Es sind wohl zwei zentrale Punkte die mich antreiben. Zum einen ist es die erlaubte Möglichkeit, einen Spagat zwischen den Tätigkeiten des Gestaltens, Moderierens und Reflektierens zu wagen. Was meine ich damit: Ich kann meine Ideen formulieren, in Projekten ausprobieren, ich kann die Erfahrungen beschreiben, sie überprüfen und nach einer Reflexionsschleife gegebenenfalls promoten, abändern, neu modellieren oder aber mit dem Wissen „Nett, aber unbrauchbar“ ablegen.
Außerdem, und damit zum anderen, bekomme ich so die Gelegenheit, den Studierenden nicht nur die Vielfalt meines Faches zu näherzubringen, sondern ihnen vor allem auch ihre Chancen und ihre Verantwortung in der personenorientierten Beratungstätigkeit näher zu bringen.
REWI: Sie arbeiten als eingetragener Mediator sowie als Trainer, sind Mitglied des Beirats für Mediation des Justizministeriums und leiten das überfakultäre Zentrum für Soziale Kompetenz an der Uni Graz. Wie erleben Sie diese unterschiedlichen Aufgaben?
Sascha Ferz: Bereichernd, aber auch herausfordernd! Letztlich ermöglichen mir die unterschiedlichsten thematischen und auch methodischen Zugänge den Überblick über das an sich schon so breite Themenfeld der Konfliktarbeit zu bewahren. Gerade für einen Juristen ist es von immanenter Wichtigkeit, erkennen zu können, wo und wie soziale Prozesse verlaufen, welchen Mustern sie folgen und welche Interventionsmöglichkeiten es gibt.
REWI: Was haben Sie sich für Ihre Professur an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät vorgenommen?
Sascha Ferz: Viel! Ziel wird es jedenfalls sein, auf drei verschiedenen Ebenen zu wirken. Erstens gilt es, an der Aufbereitung einer Konfliktanlaufstellenlandkarte zu arbeiten, die zugleich zu einem – und damit zweitens – intensiven Diskussionsprozess zwischen Vertreter*innen der betroffenen Einrichtungen bzw. einschlägigen Anbietern führen soll. Drittens braucht es eine Fokussierung der Arbeit nach innen, womit u.a. die Stärkung des einschlägigen Lehrprogramms an der eigenen Fakultät angesprochen ist.
REWI: Streit schlichten und Konflikte lösen kann man auch bei sich im privaten Bereich ganz wunderbar brauchen. Haben Sie ein, zwei Tipps für uns?
Sascha Ferz: Die Frage nach den guten Tipps ist eine sehr gefährliche, weil sie direkt in die Falle der Simplifizierung führt. Nur so viel: Konflikten kommen wir alle nicht aus, machen wir etwas Gutes daraus!